Hersteller von Medizinprodukten müssen bei der Entwicklung ihrer Strategie für Marktzugang und Konformität einiges bedenken. Die Konzentration auf die richtigen Märkte, der Umgang mit komplexen regulatorischen Anforderungen und vor allem ein Verständnis der sich wandelnden regulatorischen Bedingungen – diese Faktoren können über Erfolg oder Misserfolg einer Markteinführung entscheiden.
Wir haben uns mit Evangeline Loh, Senior Manager, Medical Market Access von Emergo by UL darüber unterhalten, wie Medizintechnik-Unternehmen ihren Marktzugang und ihre globale Strategie so gestalten sollten, dass sie die regulatorischen Anforderungen 2025 erfüllen.
F: Was sind die wichtigsten Trends und Veränderungen im Bereich des Marktzugangs für Medizinprodukte ab 2025?
Es gibt mehrere Trends, die man in den nächsten Jahren genau im Auge behalten sollte. Erstens hat sich die Art und Weise verändert, wie Medizinproduktehersteller entscheiden, welchen Markt sie zuerst bedienen wollen. Neue Vorschriften in der EU haben einige Unternehmen dazu veranlasst, zuerst auf den US-Markt zu gehen.
Es gibt auch mehr Zusammenarbeit zwischen den Regulierungsbehörden, um dem Ressourcenmangel bei den Behörden zu begegnen und die Harmonisierung zu fördern. Beispielsweise haben sich die Chinesische National Medical Products Administration (NMPA) und die malaysische Behörde für Medizinprodukte darauf geeinigt, für einige Medizinprodukte vereinfachte Reviews für die Marktzulassung zu ermöglichen.
Außerdem wird die Post-Market-Surveillance (PMS) immer wichtiger. Hersteller müssen in der Lage sein, die Konformität ihrer Produkte auch nach der Markteinführung zu begleiten. Die PMS-Anforderungen können allerdings in unterschiedlichen Märkten voneinander abweichen – eine echte Herausforderung für Life-Sciences-Unternehmen, die in verschiedenen Ländern gleichzeitig aktiv sind.
Wir bei UL Solutions sprechen oft davon, dass „alles elektrifiziert wird“ – und das trifft auf den Bereich Gesundheit und Life-Sciences definitiv zu. Datenerhebungs- und Analysetools werden immer verbreiteter und immer ausgereifter, und dies zwingt Hersteller, sich mit Cybersicherheit und Datenschutz sowie Patientensicherheit zu befassen. All das hängt natürlich auch mit dem Siegeszug der künstlichen Intelligenz (KI) und deren Auswirkungen auf die Entwicklung und Konformität von Medizinprodukten zusammen. Durch das EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz aus dem Jahr 2024 wurde die EU der erste Rechtsraum mit formeller Gesetzgebung zur Nutzung von KI; dies betriff auch die Medizintechnik. Wir verfolgen die Entwicklungen in den USA und anderen Märkten aufmerksam, um zu verstehen, wie deren Zulassungsbehörden den Einsatz von KI in Medizinprodukten regulieren.
F: Wenn ein Medizinproduktehersteller ein neues Produkt entwickelt hat, dreht sich die Diskussion oft darum, ob es zuerst auf den US- oder auf den europäischen Markt gebracht werden soll. Wie sehen Sie das?
In der Vergangenheit, unter der alten Medizinprodukte-Verordnung und mit den durch die Mitgliedsstaaten Benannten Stellen war der allgemeine Konsens, dass die Erlangung einer CE-Zertifizierung für ein neues Produkt in der EU der einfachere Weg ist.
Mit der neuen EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR 2017/745) hat sich das jedoch geändert. Es gibt noch immer kaum 50 Benannte Stellen, die eine CE-Kennzeichnung gemäß MDR erteilen dürfen, und es wurden schon verschiedene Änderungen der MDR verabschiedet, um den Zeitplan zu verlängern (z. B. Verordnung 2020/561 und Verordnung 2023/607).
Für Hersteller eines Produkts der Klasse II in den USA ist es oft recht einfach, ein im Wesentlichen gleichwertiges Produkt für einen 510(k)-Antrag zu identifizieren. Außerdem gibt es für Hersteller die Möglichkeit eines De Novo-Antrags, wenn kein expliziter Produktcode verfügbar ist und das Produkt als risikoarm (Klasse I oder Klasse II) eingestuft wird. Außerdem gibt es das etablierte Pre-Sub oder Q-Sub-Verfahren, über das man der U.S. Food and Drug Administration (FDA) Fragen stellen kann. In der EU hat man in der Zwischenzeit auch begonnen, einen strukturierten Dialog mit den Benannten Stellen zu ermöglichen. Für Hersteller mit einer genehmigten 510(k)-Zulassung ist es außerdem einfach, bei der FDA eine spezielle 510(k)-Zulassung für einige Änderungen zu beantragen.
Durch die große Umstellung von MDD auf MDR in Europa haben Hersteller begonnen, die Strategie für die Erstvermarktung neuer Produkte zu überdenken.
F: Die regulatorischen Anforderungen werden häufig aus Sicht der US-amerikanischen FDA und des EU-Systems betrachtet. Worin besteht denn der größte Unterschied zwischen den beiden Regulierungssystemen?
Ein Unterschied liegt in den Klassifikationssystemen. In den USA bestimmt die FDA einen spezifischen Code, welcher der Beschreibung und dem Verwendungszweck des Produkts entspricht. Dieser ist die Grundlage für die Klassifikation und die erforderlichen Einreichungsunterlagen.
Im EU-System gibt es dagegen eine regelbasierte Klassifikation, die das Produkt nach Prüfung verschiedener Regeln einstuft und die regulatorischen Unterlagen definiert, die gegebenenfalls der Benannten Stelle für die CE-Zertifizierung vorgelegt werden müssen.
Im US-amerikanischen System kommt auch ein Regulierungsmechanismus der wesentlichen Gleichwertigkeit für Produkte der Klasse II 510(k) zur Anwendung, wobei der Hersteller nachweisen muss, dass sein Produkt im Wesentlichen einem bereits für den US-Markt zugelassenen Produkt entspricht.
F: Weltweite Harmonisierung und das Beziehen auf Zulassungen aus anderen Regionen waren 2024 in aller Munde. Gibt es Regulierungssysteme, die bereits erteilte Zulassungen nutzen?
Ja, es gibt Regulierungssysteme, die Zulassungen von anderen Regulierungsbehörden nutzen, zum Beispiel die USA und die EU. Dabei können Hersteller eine Zulassung aus einem Land zu nutzen, um auch in einem oder mehreren anderen Ländern, die ein entsprechendes Abkommen haben, eine Zulassung zu erhalten. Allerdings würden weder die USA noch die EU jemals Zulassungen von anderen Marktregulierungsbehörden nutzen.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Das australische Regulierungssystem beruhte auf der ehemaligen Global Harmonization Task Force (GHTF) und nutzt auch EU-Konformität. Die australische Therapeutic Goods Administration (TGA) erweiterte die Möglichkeit, Zulassungen in anderen Rechtsbereichen zu nutzen im Jahr 2018 auf die FDA, Health Canada (HC) und das japanische Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales (MHLW). Zuletzt wurde im September 2022 auch die Health Sciences Authority (HSA) in Singapur zur Liste hinzugefügt. Zusätzlich zum Regulierungssystem hat die TGA ein robustes Marktüberwachungssystem eingerichtet, das Medizinproduktehersteller und deren Aftersales-Aktivitäten aktiv überwacht.
Viele andere Regulierungssysteme haben ähnliche Formen der Nutzung von Zulassungen aus anderen Ländern eingeführt. Das Vereinigte Königreich und die Schweiz orientieren sich (weiterhin) an der EU-Gesetzgebung und der Konformität mit EU-Gesetzen. Beide Länder haben kürzlich angedeutet, auch die Zulassungen der FDA in Zukunft zu nutzen. Die brasilianische Gesundheitsaufsichtsbehörde (ANVISA) hat mit der Resolution RDC 741/2022 bestätigt, dass es in Kürze ein Gesetz über die Nutzung anerkannter gleichwertiger behördlicher Zulassungen für risikoreichere Produkte der Klassen III und IV geben wird. Im September 2023 gab es eine öffentliche Konsultation zu einer normativen Anweisung, um weitere Informationen über das Einreichungsverfahren und die gleichwertige ausländische Regulierungsbehörde (Autoridade Reguladora Estrangeira Equivalente, AREE) zu liefern, die zur normativen Anweisung IN 290/2024 führte.
F: Glauben Sie, dass die Nutzung behördlicher Zulassungen anderer Länder die regulatorische Harmonisierung weltweit weiterbringen kann?
In gewissem Maße, ja. Es erlaubt die Einführung von Standardpraktiken, vermindert doppelte Arbeit und ermöglicht die gegenseitige Anerkennung für Regulierungsbehörden. Die Global Harmonization Task Force (GHTF), die inzwischen durch das International Medical Device Regulators Forum (IMDRF) ersetzt wurde und der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) arbeiten aktiv an einer weltweiten Harmonisierung der Regulierungen.
Die GHTF arbeitet ähnlich wie das Zulassungssystem der EU: Klassifikationsregeln, Grundprinzipien, Konformitätsbeurteilungen, klinische Bewertungen und Summary Technical Documentation (STED).
Das IMDRF orientiert sich also auch an anderen Zulassungssystemen. Um Ressourcen besser zu nutzen und Zeit für die Reviews zu sparen, nutzen immer mehr Regulierungsbehörden Zulassungen aus anderen Ländern; dabei wurden einige sehr einzigartige Modelle vorgeschlagen.
F: Sie haben das IMDRF erwähnt. Welche Rolle spielt es dabei, die Harmonisierung der behördlichen Zulassungsstellen für Medizinprodukte voranzutreiben und den Marktzugang zu vereinfachen?
Das IMDRF ist seit letztem Jahr im Einsatz und hat unter Vorsitz der US-amerikanischen FDA bereits Fortschritte in der regulatorischen Zusammenarbeit erreicht. Das IMDRF bringt Regulierungsbehörden in Arbeitsgruppen zusammen, um Anleitungen zu entwerfen. Regulierungsbehörden die weniger gut etablierte Systeme für die Zulassung von Medizinprodukten haben, haben dabei vom Wissens- und Erfahrungsaustausch profitiert.
In früheren Jahren konnte ein Hersteller ein STED, das für eine Benannte Stelle in der EU zur Review erstellt worden war, auch anderen Regulierungsbehörden vorlegen, sofern diese ein behördliches Zulassungssystem nach Vorbild von GHTF, IMDRF oder ASEAN eingerichtet hatten. Ein Unternehmen kann auch andere als die ursprünglich für eine CE-Zertifizierung erforderlichen Dokumente vorlegen, etwa eine Checkliste für die grundlegenden Anforderungen für die EU oder einen klinischen Bewertungsbericht für die EU, oder auch für andere Regulierungsbehörden wie HC.
Die IMDRF-Version der Anleitung mit dem Titel „Non-In Vitro Diagnostic Device Market Authorization Table of Contents (ToC)“ enthält auch eine Übersicht darüber, welche Abschnitte für welche Länder eingereicht werden müssen.
Um das Ziel, globale Regulierungsvorschriften zu harmonisieren, zu erreichen, hat das IMDRF die Nutzung des digitalen Einreichungssystems der FDA, eSTAR eingeführt. Die Partnerschaft zwischen der FDA und HC für die Pilotphase von eSTAR im Januar 2023 für die Einreichung bei der kanadischen Regulierungsbehörde zeigt, dass Fortschritte erzielt wurden.
F: Gibt es noch etwas, was Ihnen wichtig ist, zu sagen?
Die USA und die EU sind nach wie vor die ersten Märkte, in denen Medizinproduktehersteller neue Produkte zuerst auf den Markt bringen – auch wenn viele inzwischen lieber in den USA starten.
Die Ressourcen der Regulierungsbehörden sind knapp – gleichzeitig wollen die Behörden den Zugang zu wirksamen Medizinprodukten für Ihre Bürger sichern. Dabei sind Kreativität, Durchsetzungsvermögen und Erfindungsgeist gefragt – sowohl von Regulierungsbehörden als auch durch die Systeme, um ein effizienteres globales Zulassungssystem zu schaffen.
UL Solutions unterstützt die gesamte Medizintechnikbranche mit einem breit gefächerten Angebot an Dienstleistungen und Lösungen. Dazu zählen Zertifizierungen, Dienstleistungen als Benannte Stelle und Beratungen. Zur Erkennung, Vermeidung und Handhabung potenzieller Interessenkonflikte und zum Schutz unserer Marke und der Marken unserer Kunden haben wir Verfahren eingeführt, mit denen wir die Unparteilichkeit sicherstellen.
Wir ebnen für Unternehmen aus der Gesundheits- und Life-Science-Industrie den Weg in hochregulierte Märkte
UL Solutions bietet Expertise und Softwarelösungen für ein effektives Management regulatorischer Anforderungen. Wir führen auch Prüfungen und Zertifizierung zum Nachweis der Produktsicherheit und -leistung durch.
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